Letztes Jahr erschien in Saeculum ein v.a. auf Literatur basierender Artikel von Manfred Vasold zur um 1770 in Europa grassierenden Hungersnot; seine These ist, dass diese mehr zum Hinwegfegen des Ancien régime beigetragen [habe] als die intellektuelle Kritik der Aufklärer (Vasold, 142).
Mein Interesse an dieser Hungersnot wiederum liegt v.a. in ihrer Beziehung zur Statistik. Pointiert läßt sich nämlich feststellen, dass die Hungersnot von 1770/71 auch eine Unmenge von Tabellen produzierte. Vasold deutet dies nur an einer Stelle an, als er erwähnt, dass in Salzburg im November 1770 eine Erfassung der Getreidebestände und der Bevölkerung angeordnet wurde (Vasold, 117). Ein weiteres Beispiele wäre die Verwendung der Konskriptionsergebnisse für Böhmen zur Berechnung des Bedarfs an Getreidevorrat (Tantner, 170), was auch für Oberösterreich belegt ist (Kumpfmüller, 111f). In Bayern wiederum war die Hungersnot von 1770 die direkte Auslöserin der aufwändigen Dachsbergschen Volksbeschreibung (Denzel, 24).
Denzel, Markus A.: Professionen und Professionisten. Die Dachsbergische Volksbeschreibung im Kurfürstentum Baiern. (1771–1781). (=VSWG Beihefte; 139), Stuttgart: Steiner, 1998.
Kumpfmüller, Josef: Die Hungersnot von 1770 bis 1772 in Österreich. Wien: Dissertation an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, 1969.
Tantner, Anton: Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen. Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie. (=Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit; 4). Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 2007.
Vasold, Manfred: Die Hunger- und Sterblichkeitskrise von 1770/73 und der Niedergang des Ancien régime, in: Saeculum, 59/I.2008, S. 107–142.
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Socialpolitik - Mi, 1. Apr. 2009, 08:30
Sehr schön, die
NZZ rezensiert heute eine Kulturgeschichte der Kuh (
übrigens). Ob da auch
Benjamins Muh-Gedicht vorkommt?
Werner, Florian: Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung. Zürich: Nagel & Kimche, 2009.
Update: Natascha Vittorelli hat mich auf folgende wesentliche Arbeit zum Thema aufmerksam gemacht:
Reichmayr, Michael: Slavische Elemente im Tiernamengut Kärntens unter besonderer Berücksichtigung von Kuhnamen. Wien: Univ. Diplomarbeit, 1996.
Überarbeitete Veröffentlichung:
Reichmayr, Michael: Von Ajda bis Žuži. Slawisches in österreichischen Rindernamen. Eine sprachliche und kulturhistorische Analyse. (=Wissenschaftliche Schriftenreihe des Pavelhauses; 8). Wien: Artikel-VII-Kulturverein für Steiermark, 2005.
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Alltag - Di, 31. Mär. 2009, 10:32
Eine weitere Trouvaille aus dem Abenteuer Bibliothek-Bändchen, ein Zitat Hoffmann von Fallerslebens über eine 1834 nach Wien unternommene Reise:
Unterdessen war ich eifrig beschäftigt in der Hofbibliothek mit einem Verzeichnisse aller dortigen deutschen Handschriften bis zum 15. Jahrhundert. Die Arbeit hatte ihr Ergötzliches, mitunter aber auch ihr sehr Langweiliges: in vielen Handschriften waren die Blätter noch unbezeichnet und ich mußte nun manchen Tag viele tausend Zahlen schreiben.
Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Mein Leben, Teil I, 2. Bd., Berlin 1894, S. 154-157, zit nach: Polt-Heinzl, Evelyne (Hg.): Abenteuer Bibliothek. Ein Ort des Wissens und der Fantasie. Wien: Brandstätter, 2009, S. 71.
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Nummerierung - Mo, 30. Mär. 2009, 08:30
Das von der
Library Mistress bereits angezeigte Büchlein
Abenteuer Bibliothek ist wirklich ein Kleinod; u.a. enthält es folgendes Zitat von Ingeborg Bachmann:
Die Dissertation, mit der ich in Wien im Jahre 1950 promovierte, hat den monströsen Titel: 'Die kritische Aufnahme der Existenzialphilosophie Martin Heideggers'. Die Doktoranden damals haben Glück gehabt; ihre Dissertationen konnten nicht veröffentlicht werden [...] Es ist gut, daß die Wiener Nationalbibliothek mit dem einzigen deponierten Exemplar beim Verleihen geizt wie ein Gruftwächter mit der Kaiserkrone.
Mit dem Hochladen von Qualifizierungsarbeiten auf Dokumentenserver ist ihr Verbergen nun etwas schwieriger geworden, die jeweiligen AbsolventInnen müssen nun explizit den öffentlichen Zugriff auf ihre Arbeit sperren lassen.
Überhaupt ist bemerkenswert, wie viele Dissertationen an der Uni Wien nur in maschinschriftlicher Fassung vorhanden sind, obwohl sie durchaus von Nutzen für den Rest der Welt wären.
Das ÖNB-Exemplar von Bachmanns Diss wurde übrigens 1983 mikroverfilmt; 1985 erschien eine Edition bei Piper.
Ingeborg Bachmann zit. nach Polt-Heinzl, Evelyne (Hg.): Abenteuer Bibliothek. Ein Ort des Wissens und der Fantasie. Wien: Brandstätter, 2009, S. 88.
Im
Presse-Spectrum schreibt heute Richard Schuberth über Andreas Hofer, was über diesen Tiroler Anti-Aufklärer zu schreiben ist.
Leider fehlt in der Onlineversion (derzeit) der Schluss des Artikels, der circa ein Viertel des gesamten Texts ausmacht. (Update: nun ist der Text vollständig.)
Was an Schuberths Text auffällt: Wie vorsichtig er die Taliban-These vorstellt, so, als ginge er vor erzürnten Hofer-Aficionados schon präventiv in Deckung. Wäre ja gar nicht notwendig; im übrigen gilt Peter Hacks' Lackmustest: Wer um 1800 für die Pockenimpfung war, zählt zur Partei der Aufklärung, wer dagegen war, zur Partei der Romantik, also der Konterrevolution, mal ganz abgesehen von den Kriterien Antisemitismus und katholischer Verblödung.
Überhaupt ist Schuberths Text durchzogen von Selbstreflexion:
Der Kleinbürger, der zum Pogrom aufruft, um als ganzer Kerl seinen Ausschluss aus der ländlichen Gemeinschaft abzuwenden, gleicht auch irgenwie deren intellektuellen Kritiker, der diese - weil von ihr ausgeschlossen - unaufhörlich anbellt, in der Hoffnung, aus Respekt vor solch trotzigem Gebaren doch noch durch irgendeine Hundetür Einlass zu bekommen - in die Gemeinschaft mit ihrer heimeligen Stallwärme.
Hacks, Peter: Zur Romantik. Hamburg: Konkret Literatur Verlag, 2001, S.111.
Letzten Dienstag hielt hierzulande Eckart Elsner einen Vortrag über den Statistiker und Theologen Süßmilch (
vgl.); Elsner machte darauf aufmerksam, dass zur Zeit eine kleine Wanderausstellung mit dem Titel
Mit Ordnung zur Vernunft. Der Theologe Süßmilch und der Dichter Lessing durch deutsche Gefilde tingelt, im Moment ist sie gerade in Berlin zu Gast und zwar in der
Stadtbibliothek Steglitz-Zehlendorf, wo sie noch bis 29.4. zu sehen ist. Auch in
Kamenz wird sie (bis Ende März) gezeigt, vormals gastierte sie im
Hessischen Statistischen Landesamt. Als Begleiband ist eine von Elsner verfasste Broschüre erschienen:
Elsner, Eckart: Mit Ordnung zur Vernunft. Der Statistiker Süssmilch und der Dichter Lessing - eine Begegnung. [Begleitheft zur Sonderausstellung des Lessing-Museums Kamenz]. Kamenz: Lessing-Museum, 2007. 27S.
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Ausstellungen - Fr, 27. Mär. 2009, 09:08
Schiffmühlen sind ja nun wirklich was faszinierendes (vgl.
hier). Wie ich der
Mailingliste der GTG entnehme, gibt es für Schnellentschlossene heute dazu einen Vortrag:
Vortragende: Daniela Gräf
Titel: Geschichte der Sonderbauwerke: Schiffmühlen in Europa: Vom Mittelalter bis in die Neuzeit
Zeit: 26.3.2009, 18 Uhr
Ort: Deutsches Technikmuseum, Trebbiner Straße 9, 10963
Berlin, Vortragssaal
Ankündigungstext:
In dem auf einer 2003 geschriebenen Dissertation basierenden Vortrag werden archäologische Funde, technische und historische Fakten zu den Schiffmühlen für die gesamte Zeit ihres Bestehens zum Ausgangspunkt technikgeschichtlicher Betrachtung der Phänomens Schiffmühle. Die Bild-, Text- und Sachquellen stammen aus ganz Europa. Im regional unterschiedlichen Bau dieser speziell für die Nutzung auf großen Flüssen konstruierten Mühlen spiegeln sich historische Traditionsgrenzen. Zum Bau von Schiffmühlen wurden Schiff- und Mühlenbautechnik auf einzigartige Weise kombiniert.
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Veranstaltungen - Do, 26. Mär. 2009, 10:21
Der
NZZ entnehme ich, dass das Zürcher Uhrenmuseum Beyer eine Ausstellung zur Geschichte der Stoppuhren mit dem Titel
Die Zeit festhalten – Chronographen aus der Sammlung Beyer zeigt.
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Ausstellungen - Do, 26. Mär. 2009, 09:19
Seit Anfang März hat Montpellier einen
Square Théophraste-Renaudot, wie der
Gazette de Montpellier zu entnehmen ist.
Ärgerlich am Artikel ist folgende, durch die Forschung schon lange widerlegte Behauptung:
En 1631, il [d.h. Renaudot] a créé le premier journal de France. In Wirklichkeit existierten schon vor Renaudots
Gazette die von Jean Martin und Louis Vendosme herausgegebenen
Nouvelles ordinaires de divers endroicts, gegen die sich Renaudot dann mit Hilfe Richelieus durchsetzen konnte.
DAHL, Folke/PETIBON, Fanny/BOULET, Marguerite: Les débuts de la presse française. Göteborg/Paris 1951.
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Adressbueros - Do, 26. Mär. 2009, 09:10
Jetzt aber wirklich, denn angekündigt war das Ö1-Radiokolleg zum Thema
Vom Suchen und Finden bereits für Jänner diesen Jahrs; geplante Ausstrahlungstermine sind Mo-Do, 6.4.-9.4., 9.05-9.30.
Nochmals die Beschreibung:
Der Mensch ist ständig auf der Suche: Nach einem Partner, dem nächsten Traumurlaub, einem Buch oder nach dem billigsten Preis. Die Fragen sind vielfältig, aber die Suchmaschine, die dafür genutzt wird, meist nur die eine.
Täglich werden allein vom Suchmaschinenbetreiber Google Hunderttausende Suchanfragen ausgewertet. Und im Gegensatz zu analogen Bibliothekssystemen lässt sich eine Antwort dort schnell finden. Irgendeine Antwort. Um deren Qualität scheint es bei der digitalen Suche nur selten zu gehen, denn warum sonst geben sich die meisten Menschen bereits mit den ersten zehn Suchergebnissen zufrieden? Mit Antworten, die am meisten akzeptiert und damit verlinkt werden und für die am meisten bezahlt wurde, damit sie höher gereiht werden?
Die Suche ist zu einem Geschäft mutiert und aus manchen Anbietern von digitalem Wissen wurden börsennotierte Unternehmen. Zwar wird auch heute ständig daran gearbeitet die Methoden des Suchens zu verbessern, ein wenig mehr Ordnung in den digitalen Datenhaufen zu bringen, aber dieses Unterfangen ist mühsamer als gemeinhin angenommen wird.
Allen Unkenrufen zum Trotz gehen - wie früher in den Bibliotheken - auch im Netz Informationen verloren. Obwohl die Kunst des Versteckens dort noch wenig ausgeprägt ist.
Das Architekturzentrum Wien zeigt noch bis Anfang Juni die Ausstellung
Bogdan Bogdanović - Der verdammte Baumeister; der Beitrag in der heutigen
NZZ dazu macht Lust darauf, sie zu besuchen. Und am Samstag, 11.4.2009 (17.05-19.00) läuft auf
Ö1-Diagonal eine Sendung über den Architekten.
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Ausstellungen - Di, 24. Mär. 2009, 09:11
Neben den Hartz-Reformen wird dies wohl am meisten die Erinnerung an die erste deutsche rot-grüne Regierung prägen: Die Beteiligung am Krieg gegen Serbien. Eine Bestandsaufnahme 10 Jahre danach liefert Hannes Hofbauer heute im
ND; am Ende seines Artikels berichtet er auch über den Selbstverwaltung befindlichen Betrieb
Jugoremedija.
Das unerfreuliche Jubiläum kann übrigens auch als Beleg für die Notwendigkeit der Internet-Archivierung herangezogen werden: Viele der Links der österreichischen Antikriegsseite von
Kanal sind nicht mehr aktiv.
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Politik - Di, 24. Mär. 2009, 09:03
In der aktuellen
konkret berichtet Matthias Becker (konkret, Nr.9/2008, S.28f, nur print) über Labours geplante Maßnahmen zur weiteren
Pathologisierung der Arbeitslosen. Dabei verweist Becker auf eine von Liam Byrne - Leiter des Cabinet Office - vorgeschlagene schwarze Utopie einer lebenslangen Schul- und Gesundheitsinstitution; im entsprechenden
Guardian-Artikel liest sich dies wie folgt:
In a Guardian interview, Liam Byrne, Cabinet Office minister, argues that the findings underline the need for a new wave of locally based reforms, including the use of school buildings to offer "cradle- to-grave" education, health, retraining and parenting skills.
He says these schools, possibly incorporating health centres, backed by billions of pounds of new investment, could become the focus for bringing inward-looking, disengaged communities into contact with the wider world.
He said: "In the medieval days we built communities around the manor house and then in the 19th century we built communities about the factory and in the 21st century we need to build communities around schools.
Macht doch dem Benthamschen Panopticon alle Ehre, nicht wahr? Doch Becker ist skeptisch:
Wahrscheinlich wird auch Liam Byrnes Mega-Sozialarbeitszentrum eine technokratische Phantasie bleiben.
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Kontrolle - Mo, 23. Mär. 2009, 09:56