Nummerierung
In einer Berlin-Topographie von J. P. Kux bin ich auf die Berliner Eckensteher gestoßen:
Das Heer der Eckensteher steht unter polizeilicher Aufsicht; sie tragen deshalb Nummern wie die Droschken.
Kux, J. P.: Berlin. Eine aus zuverlässigen Quellen geschöpfte genaue und neueste Charakteristik und Statistik dieser Residenz und ihrer Umgebungen. Berlin: Cornelius, 1842, S. 82.
Projekt Gutenberg hat noch mehr zu bieten, nämlich eine mit 1832/1845 datierte Skizze von Adolf Glaßbrenner:
Unter allen Plebejern des stolzen Berlins verdienen sie als die zahlreichste und merkwürdigste Klasse zuerst genannt zu werden; wer je durch die großen und schönen Straßen der preußischen Residenz gewandelt ist, dem wird gewiß diese komische Nation aufgefallen sein, die sich durch ihre Sitten, durch ihren immerwährenden Durst, durch ihre Faulheit und ihre grenzenlose Gleichgültigkeit gegen Alles, was in ihnen und um sie vorgeht, (mit Ausnahme von Prügeleien) und durch einen handfesten Witz auszeichnen.
Sie sind bei Alt und Jung unter dem Namen »Eckensteher« bekannt; (...) Seitdem ihnen von Obrigkeits wegen ein Schild mit einer Nummer gegeben ist, heißen Sie auch Schildkröten.
Die Kleidung dieser Straßen-Beamten ist höchst einfach und zerrissen; sie tragen gewöhnlich eine Jacke die lächerlich ist, ja man sieht sogar welche, die barwade (Göthe sagt: barhaupt) gehen. Auf dem linken Arm hat jeder ein Schild mit einer Nummer – damit man sie im Falle des Greifens bei der Polizei fassen kann – über ihren Schultern hängt eine Hilfe (hilflos sind wenige), und ihre Kopfbedeckung ist eine Mütze, auf welche die wechselnden Farben des Schicksals so viel Eindrücke gemacht haben, daß man ihre ursprüngliche Farbe selten erkennen kann. Die Schildkröten stehen oder sitzen vielmehr an einer Straßenecke, von der ein Branntweinsladen nicht fern ist. Ihr Charakter ist menschenfreundlich, unbescheiden und standhaft; sie tragen Alles mit Geduld und fordern hernach 10 bis 15 Silbergroschen. Das Nebengeschäft dieser Leute ist Meubel karren und Wäsche rollen, zu ihren Hauptgeschäften gehört: Müßiggang, Schnapstrinken und – Prügeln.
Und die Wikipedia kennt dann noch den
Eckensteher Nante mit der Konzessionsnummer 22, über den Glaßbrenner ein Stück geschrieben hat.
adresscomptoir -
Nummerierung - Fr, 9. Mai. 2008, 09:00
Habe ich in Umberto Ecos Geschichte der Hässlichkeit entdeckt: Einen Ausschnitt von Antoine-Jean Gros' Gemälde
Bonaparte bei den Pestkranken von Jaffa (1804, Louvre). Jetzt müsste man nur noch mehr in Erfahrung bringen über die Bedeutung der Nummern. Bezogen sich die auf Regimenter?
adresscomptoir -
Nummerierung - Mo, 31. Dez. 2007, 12:31
Es sind die kleinen Unterschiede, die's ausmachen: Obwohl in den böhmischen und österreichischen Ländern 1777, also sieben Jahre nach der Hausnummerierung, die Türnummern als so genannte "Familiennummern" eingeführt wurden gibt es heute wichtige Unterschiede in ihrer Verwendung: In Wien kennt jeder seine Türnummer, sie sind zumeist an den Türen angeschrieben und werden für die postalische Adressierung verwendet. In Prag ist das anders: Gerald Schubert von Radio Prag, der letzte Woche mit mir ein Hausnummern-Interview führte, erzählte mir, dass es zwar in Prag auch theoretisch Türnummern gibt, diese aber im Alltag keine Bedeutung haben. Probleme gibt's nur, wenn bestimmte Behörden, z.B. die Stadtwerke, die Angabe der Türnummer in irgendwelchen Formularen verlangen. Dann ist umständliches Nachforschen nötig, welche Türnummer man denn habe, denn auch die Vermieter kennen diese nicht. Dafür wiederum wird oft bei alltäglichen Adressenangaben die popisné číslo, also die Konskriptionsnummer zusätzlich zur straßenweisen Orientierungsnummer angegeben.
-Hm, das wäre doch Anlass genug für eine Onlineumfrage: Wie sieht's in Eurer/Ihrer Stadt aus? Gibt's dort Türnummern? Kommentare und Erlebnisberichte auch aus bereisten Städten sind willkommen!
adresscomptoir -
Nummerierung - Di, 4. Dez. 2007, 09:00
Als Friedrich Nicolai 1781 Wien bereist, fallen ihm im Spital zur Heiligen Dreifaltigkeit die nummerierten Krankenbetten auf:
Die Krankenzimmer sind hoch und geräumig, und die Betten stehen weit von einander ab, so daß im Durchschnitt auf jeden Kranken ein Raum von ohngefähr 24 Quadratschuhen kömmt. Jedes Bett hat seine Nummer; zum Haupte desselben eine Tafel, welche zu Anmerkung verschiedner im Verlauf der Krankheit vorkommender Umstände bestimmt ist, und worauf außerdem der Name des Kranken, der Tag seines Eintritts ins Spital, und, im Fall er in ein andres Bett gelegt worden, seine vorige Nummer aufgeschrieben wird; ferner noch eine kleinere am Fuß des Bettes hängende Tafel, worauf die tägliche Kost des Kranken angemerkt wird.
NICOLAI, Friedrich: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Berlin/Stettin 1783. ND Hildesheim u.a.: Olms, 1994 (=Gesammelte Werke; 16. Hg. von FABIAN, Bernhard/SPIECKERMANN, Marie-Luise), Beilage zum 3.Bd., S.74.
adresscomptoir -
Nummerierung - Di, 30. Okt. 2007, 09:00
Laut Historischem Lexikon der Stadt Wien wurden die Wiener Fiaker 1800 nummeriert; aus einem Akt des Wiener Stadt- und Landesarchiv geht allerdings hervor, dass dies schon fast 50 Jahre früher der Fall war: Demnach sei über einen Vortrag vom 8. Mai 1756 eine allerhöchste Resolution ergangen daß um dem Muthwilligen schnellen Fahren deren Lehenkutschern dereinst gemessenen Einhalt zu verschaffen, die Stadt- so wie die Vorstadt-Lehen-Wagen ohne Ausnahme auf der Seite mit ordentlichen Numeren bemerket sofort und da aus diesen Zaichen bey Ausübung einigen Muthwillens die Innhaber deren Wägen füglich zu erkennen seynd, die in derley schnellen Fahren immer wo betrettende Lehen- und andere Kutscher zum erspieglenden Beyspiel für die übrige auf das empfindlichste in instanti gezüchtiget werden sollten. Was diese Nummerierung betreffe, sei alles nötige durch den Verwalter des Großen Armenhaus in die Wege zu leiten. Weiters solle ein gedruckter öffentlicher Ruff ausgehängt werden, der alle und jede Lehen- und andere Kutscher auffordere, von allem schnellen Fahren sich also gewis [zu] enthalten (...), wie im widrigen die jenigem welche darinne betretten werden, zum erspieglenden Beyspil für die übrige auf das empfindlichste an dem Orth des verübten Muthwillens gezüchtiget, und nicht allein durch die Polizey-Wacht, sondern auch so gar durch die patroulirende Miliz alsogleich von dem Wagen herab genohmen, und mit gemessenen Stockstreichen abgestraffet, allenfalls nach Maaß ihrer Bosheit, und des dabey begangenen Verbrechens zu fernerer Bestraffung arrestirlich angehalten werden würden.
WSTLA, Alte Registratur, A1 - Zusammengelegte Akten, 180 ex 1755: Niederösterreichische Repräsentation und Kammer an die von Wien, 10.5.1756; Ruff (gedruckt), 14.5.1756.
Art. Fiaker, in: CZEIKE, Felix (Hg.): Historisches Lexikon Wien in fünf Bänden. Bd. 2. Wien: Kremayr & Scheriau, 1999, S. 294f.
adresscomptoir -
Nummerierung - So, 21. Okt. 2007, 13:00
Heute beginnt der
Kulturgeschichtetag mit einem Besuch der Klangwolke bei hoffentlich trockenem Wetter.
Ich werde dort zum einem mein
Adressbüro-Projekt vorstellen, zum anderen einen Vortrag zur Kulturtechnik der Nummerierung halten. Das Abstract lautet wie folgt:
1, 2, 3 - Materialien zu einer Kulturgeschichte der Nummerierung
Ausgehend von meinen Arbeiten zur Hausnummerierung (Tantner, Anton: Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen - Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie, Dissertation Universität Wien, 2004) möchte ich mich mit dem Phänomen der Nummerierung beschäftigen: Wann und unter welchen Umständen werden Zahlen verwendet, um Gegenstände, Wissenseinheiten oder Buchseiten adressierbar zu machen? Um eine Selbstverständlichkeit handelt es sich dabei keineswegs; Michael Giesecke schreibt z.B. in seiner Studie zur Geschichte des Buchdrucks in Bezug auf das Verhältnis von Abbildung und Text: "Es brauchte Jahrzehnte, bis sich eine so einfache Technik wie das Bezeichnen der Abbildungen mit Buchstaben, Zahlen oder Worten herausbildete, die dann erst ein elegantes Zusammenspiel von Beschreibungstext und Bildvorlage ermöglichte." (Giesecke, Michael: Der Buchdruck, Frankfurt am Main, 6.A., 2006, 628-630) Auch die Verwendung von Seitenzahlen bzw. Foliierung war nicht seit Beginn des Buchdrucks geläufig; am Ende der Inkunabelperiode waren erst 10% der Inkunabeln foliiert, erst im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts wurde die Paginierung üblich.
Anhand einer Reihe von Beispielen (neben der Hausnummerierung und der Paginierung von Büchern denke ich an die Nummerierung der böhmischen Landtafelbände, die Nummerierung der Personen in Rembrandts Gemälde "Die Anatomie des Dr. Tulp", die nachträgliche Nummerierung von Szenen im Teppich von Bayeux sowie die Verwendung des Numerus Currens als Bibliothekssignatur) möchte ich mich der vermeintlichen Selbstverständlichkeit der Verwendung von Zahlen zur Hilfe der Adressierung annähern und damit einen Beitrag zur "Entfamiliarisierung", das heisst des Fremd machen des Vertrauten, leisten.
adresscomptoir -
Nummerierung - Sa, 8. Sep. 2007, 12:36
Als der im übrigen sehr hausnummernbegeisterte Aufklärer Nicolai 1781 Wien bereist, registriert er unter anderem die circa 300 Polizeisoldaten: Jeder hat eine andere Nummer an dem Hute, damit er, wenn er sich etwa vergehen sollte, kann erkannt und verklagt werden. Johann Pezzl wiederum bemerkt ein paar Jahre später, dass nicht die Hüte der Polizeisoldaten, sondern deren Patrontaschen numeriert sind, damit man sie bei ihrer Stelle verklagen könne, wofern man unbilligerweise von ihnen beleidigt würde.
Nicolai, Friedrich: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Berlin/Stettin 1783. ND Hildesheim u.a.: Olms, 1994. (=Gesammelte Werke; Bd. 16; Hg. von Fabian, Bernhard/Spieckermann, Marie-Luise), S. 216.
Pezzl, Johann: Skizze von Wien. Ein Kultur- und Sittenbild aus der josefinischen Zeit. (Hg. von Gugitz, Gustav/Schlossar, Anton). Graz: Leykam, 1923, S. 155.
adresscomptoir -
Nummerierung - Mo, 3. Sep. 2007, 08:48
Für was die noch viel zu wenig erforschte Kulturtechnik der Nummerierung nicht alles herhalten muss, jetzt soll sie auch noch der Verhinderung von Amokläufen dienen: Gemäß einem Artikel im
General-Anzeiger (GA) fordert die Polizei in Bonn eine einheitliche Nummerierung der Klassenräume in Schulen.
Alle Chemieräume zum Beispiel könnten die Nummer 20, Werkräume die Nummer 10 erhalten. Räume im Erdgeschoss könnten mit einer 0 vorneweg gekennzeichnet werden und so weiter. Bei 94 städtischen Schulen in 145 Gebäuden komme da einiges zusammen, machte SGB {=Städtisches Gebäudemanagement}-Chef Friedhelm Naujoks deutlich, und das hat natürlich auch seinen Preis: Alles in Allem kostet die Maßnahme mehr als 60 000 Euro.
Aus Sicht der Polizei ein sinnvolles Projekt, wie Polizeisprecher Harry Kolbe dem GA am Dienstag erklärte. Das auch nicht nur bei Amokläufen helfen könnte, an Schulen Menschenleben zu retten und Täter auszuschalten. Auch in anderen Krisensituationen, etwa bei Bränden, sei eine schnelle Orientierung für die Einsatzkräfte ungeheuer wichtig, sagte er. Sinn mache deshalb eine einheitliche Raumnummerierung in Verbindung mit entsprechenden Bauplänen aller Schulen, die der Polizei zur Verfügung gestellt werden sollten, damit sie in Notfällen die Maßnahmen zielgerichteter als bisher einleiten kann.
Nicht alle Schulleiter sind allerdings begeistert über den Vorschlag:
Bei den doch sehr unterschiedlichen Schulgebäuden in der Stadt gäbe es im Fall eines Falles vermutlich doch Probleme mit der Nummerierung und damit mit der Orientierung. "Das Geld könnten wir besser für andere Sachen ausgeben", meinte einer.
adresscomptoir -
Nummerierung - Sa, 18. Aug. 2007, 12:33
Jeder FIAT-Arbeiter hat eine Werkstornummer, eine Gangnummer, eine Umkleidekabinenummer, eine Spindnummer, eine Werkstattnummer, eine Fließbandnummer, eine Nummer des Arbeitsvorganges, den er ausführen muss, eine Nummer, wie viel Maschinenteile er machen muss. Es besteht alles aus Nummern, Sein Tag bei der FIAT ist vollständig geplant und wird von diesen Nummern bestimmt. Einige davon sieht man und andere sieht man nicht. Eine Reihe von nummerierten und unausweichlichen Dingen. Da drin zu sein bedeutet, dass du mit dem nummerierten Werksausweis so machen musst, wenn du reinkommst, dass du einen bestimmten nummerierten Gang lang musst, dann einen nummerierten Korridor. Und so weiter.
BALESTRINI, Nanni: Wir wollen Alles. Roman der FIAT-Kämpfe. Berlin/Hamburg/Göttingen: Assoziation A, 2003, S. 69.
adresscomptoir -
Nummerierung - Mi, 1. Aug. 2007, 09:36
Das
Programm des Kulturgeschichtetags in Linz (9.-11.9.2007) ist nun online; ich werde dort im Panel
Archive: Störungen und Entstörungen einen kurzen Vortrag zum Thema
1, 2, 3 – Materialien zu einer Kulturgeschichte der Nummerierung -
Abstract (PDF) - halten. Mal abgesehen davon kommen mir viele Beiträge sehr spannend vor.
adresscomptoir -
Nummerierung - Mo, 25. Jun. 2007, 09:08