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Das Wiener Fragstuben-Projekt des Johannes Angelus de Sumaran

Demnächst erscheint in den "Wiener Geschichtsblättern" ein Beitrag von mir zum Wiener Fragamt, der sich auch mit dessen Vorgeschichte beschäftigt und eine Passage zu einem 1636 gescheiterten Adressbüro-Projekt enthält (vgl.):

In Wien ergab sich bereits wenige Jahre nach Eröffnung des Pariser Bureau d’Adresse die Möglichkeit, eine vergleichbare Institution zu installieren. Die Initiative dazu ging von einem gewissen Johannes Angelus de Sumaran (auch: Juan Àngel de Zumaran) aus, einem Sprachlehrer, zu dem nur wenige biographische Angaben bekannt sind: Geboren wohl Ende des 16. Jahrhunderts in der baskischen Provinz Guipúzcoa,1 entstammte er einer adligen Familie und hatte sich in Brüssel aufgehalten, bevor er sich im Oktober 1612 an der Universität Ingolstadt zum Studium der Rechte immatrikulierte.2 Seit Anfang der 1610er Jahre unterrichtete er Spanisch, Italienisch und Französisch sowie Tanzen;3 ab 1617 veröffentlichte er mehrere Sprachlehrbücher und bezeichnete sich in einem davon – einer 1620 erschienenen Grammatik – als „Sprachmeister in München“.4 1622 tauchte er in Wien auf und wird in den Matrikeln der hiesigen Universität als „prof. linguarum“ angeführt;5 zwei oder drei Jahre später lernte Sumaran den spanischen Botschafter am kaiserlichen Hof, Francisco de Moncada kennen und nahm eventuell an der Belagerung von Breda teil (1624/1625).6 Die folgenden Jahre verbrachte Sumaran als Sprachlehrer an der Universität Ingolstadt7 und spätestens ab 1633 befand er sich wieder in Wien,8 wo er 1634 eine spanische und deutsche Grammatik veröffentlichte.9 Sein mutmaßlicher Sohn – Matthias Rudolf de Sumaran – hatte sich, aus München kommend, 1626 in die Universität Ingolstadt zum Studium der Grammatik eingeschrieben10 und heiratete Katharina Rowenský von Libanberg.11 Er war ebenfalls Sprachlehrer und fungierte 1648/1649 als Kammersekretär Ferdinands IV.12
Besagter Johannes Angelus de Sumaran suchte im Herbst 1636 bei Erzherzog Leopold Wilhelm darum an, für sich und seine Familie ein Privileg für eine offentliche fragstuben zu erlangen.13 In seinem Gesuch, das er als Professor Linguarum dieser Universitet in Wienn unterschrieb,14 verwies er zunächst darauf, dass es bereits in vielen fremden Ländern und Städten gewisse tabernen oder öffentliche stuben gäbe. Wer etwas kaufen oder verkaufen wolle, könne sich dort anmelden und nach allen sachen fragen. In nicht mehr als in einer viertl stundt würden sie erfahren können, ob sich ihr Begehren befriedigen ließ. Da Sumaran erwähnte, dass er in den Gebrauch solcher Einrichtungen woll erfahren wäre, ist zu vermuten, dass er diese unter anderem dazu verwendete, um seine Dienste als Sprachlehrer anzubieten; als explizites Vorbild führte er Paris an, wo ein Doctor Medicinae – also Renaudot – dises neulich inventiret hätte.15
Die Fragstube sollte zunächst als Verkaufsagentur für bewegliche und unbewegliche Güter – z. B. hershafften, mühlen, heuser, höff, wein, traidt, haber, clainodien, silber, goldt, Ross, Viech, Wagen – dienen. Von jedem Kaufs- oder Verkaufswilligen sollten sechs Kreuzer Einschreibungsgebühr verlangt werden, explizit waren auch Frauen als Benützerinnen vorgesehen. Sumaran schlug weiters vor, dass die neue Einrichtung als eine Art Meldeamt beziehungsweise Auskunftsbüro über Aufenthaltsort und Leumund der StadtbewohnerInnen verwendet werden könnte: Mit ihrer Hilfe könnte man erfahren, was für Leute in der Stadt seien, wo sie herkämen, was ihr thuen und lassen sey, wo sie wohnen, undt mit wem sie sich aufhalten und von welchem Schlag sie seien. Auch sollte Arbeitsvermittlung betrieben werden: Leute, die promoviert werden wollten, könnten in der Fragstube ihre Namen samt Wohnstätte und Fähigkeiten einschreiben lassen, während auch Namen und Ort derjenigen Herrn oder Frauen, die solliche leith begehren, registriert werden sollten. Zu den weiteren Dienstleistung zählte die Wohnungsvermittlung: Wan frembde leuth herkhomen undt wollten gern auf ein Zeit ein khost oder mobiliertes Zimmer haben, so könnten sie dieses zugewiesen bekommen.16
Darüber hinaus schlug Sumaran vor, dass die Fragstube die Funktion eines Debattierklubs, wenn nicht gar einer Akademie übernehmen könnte: [A]llerley sprachen und freye künsten sollten dort ausgeübt werden, und wöchentlich sollte eine Diskussion über eine der neuen Nachrichten veranstaltet werden. Jeder – insbesondere geschikte, wollgeraiste undt belesene leüth – sollte seine Meinung sagen können und dabei von niemanden ausgelacht werden. Der discurs sollte aufgeschrieben werden und bei der Fragstube verbleiben. Dies wäre durchaus mit den Vorträgen des Pariser Vorbildes vergleichbar gewesen, die ebenfalls wöchentlich abgehalten wurden und anschließend in Druck erschienen. Außerdem kann die Fragstube als Nachrichtenbörse betrachtet werden, in der allerley Zeittungen zu erfindten und zu erfahren wären, da man dort von allen möglichen Orten correspondenzen und particularien empfangen würde.17 – Die erwähnten Angebote deckten nicht alle Dienstleistungen ab, die Sumaran anzubieten gedachte; vill anderer dergleichen nutzbarkheiten würden durch die Fragstuben dem gemainen Wesen zu guetten khommen, allein, es fehlte Sumaran an Platz, diese näher auszuführen.18
Ausreichend Raum nehmen in Sumarans Plan allerdings Beschuldigungen gegen die traditionellen Mittler von Dienstleistungen ein: Durch seine Einrichtung könnten schedlich[e] Partitamacher (d.h. Geschäftemacher)19 sowie allerley herumbstertzende Juden, undt Landtlauffer, die khein Gewerb treiben oder alhie hausgesessen sein, abges[c]haft20 werden; in seinem Adressbüro sollte kein Wucher, wie ihn ansonsten Juden undt Christen pflegen, betrieben werden.21 Außerdem würde sein Angebot den Zwischenhandel ausschalten und sich gegen Unterhandler und leitbetrieger richten.22 Insbesondere abgesehen hatte es Sumaran auf die schädlichen Zubringerinnen, d. h. Dienstbotenvermittlerinnen – ein dekhmantl alles Übels –, bei denen sich allerlei gesindl aufhalte und die in den Häusern hin und her liefen, Frauen, Töchter und Mägde verführten, einen Dienst anzunehmen und bald wieder aufzugeben. Diese könnten nun in ihrer Tätigkeit eingeschränkt werden, da mittels des Protokolls der Arbeitssuchenden niemand anderer als ein Zetl die arbeitssuchende Person an die Dienststelle vermitteln würde.23
Sumarans Vorschlag wurde abgelehnt, da die theologische Fakultät der Universität Wien ihn negativ begutachtete: Sie stellte zum einen Sumarans universitären Status als Professor der Sprachen in Frage, da diesen nur jene, die Hebräisch oder Griechisch lehrten, in Anspruch nehmen könnten; zum anderen behauptete sie, dass zwischen den Universitätsangehörigen und dem Vorsteher der Fragstube Zwist und Streitigkeiten zu befürchten wären und dass das aus der Vermittlungstätigkeit erzielte Einkommen nicht dem Staat, sondern nur dem Vorsteher zu Gute kommen würde. Als weiteres Argument führte die Fakultät an, dass die traditionell mit Arbeitsvermittlung beschäftigten Agenten und Agentinnen um ihren Verdienst gebracht und daraus Hass und Missgunst erwachsen würden. Auch wurde befürchtet, dass die Tätigkeit der Verkaufsagentur zu Betrügereien führen könnte, da potenzielle Verkäufer sich unter falschen Namen in die Register einschreiben lassen könnten. Überhaupt wäre es unwahrscheinlich, dass ein und dieselbe Institution ein so breites Spektrum an Dienstleistungen anbieten könnte; vielmehr würde eine solche Fragstube einer Chymäre gleichen. Und schließlich bestünde in der Fragstube eine Gefahr für die Seelen dadurch, dass dort Dienstboten und Dienstmädchen mit Herrschaften und Damen so häufig zusammenkämen. In ihrer Ablehnung verstieg sich die Fakultät sogar soweit, die Fragstube als „Zuchtstätte der Sünde“ (seminarium peccatorum) zu bezeichnen.24 – Diese negative Haltung der theologischen Fakultät belegt, als wie anstößig die potenzielle Einrichtung einer Vermittlungsstätte, in der die verschiedenen Klassen der Gesellschaft aufeinandertrafen, wahrgenommen wurde. Die Beschwerden über die traditionellen MittlerInnen waren zwar vorhanden, reichten jedoch nicht aus, die fragstube als wünschenswerte Alternative dazu aufzubauen; nicht zuletzt wurde sie in ihrem Bestreben, Aufgaben einer Akademie zu übernehmen, als Konkurrenz zur Universität wahrgenommen.25

1 Wippich-Roháčková, Katrin: „Der Spannisch Liebende Hochdeutscher“. Spanischgrammatiken in Deutschland im 17. und frühen 18. Jahrhundert. Hamburg: Buske, 2000, S. 85.
2 Pölnitz, Götz (Hg.): Die Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt-Landshut-München. Teil I, Bd. 2, 1. Halbband: Ingolstadt 1600–1650. München: J. Lindauersche Universitätsbuchhandlung, 1939, Sp. 238.
3 Bruzzone, Barbara: Fremdsprachen in der Adelserziehung des 17. Jahrhunderts: Die Sprachbücher von Juan Angel de Sumarán, in: Glück, Helmut (Hg.): Die Volkssprachen als Lerngegenstand im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Akten des Bamberger Symposions am 18. und 19. Mai 2001 Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2002, S. 37–45, hier 37.
4 Sumaran, Juan Angel de: Nothwendiger aber doch kurtzer Underricht für die Teutschen welche begeren Italienisch zu lernen. o. O.: o. V., 1620. Strahovská knihovna, Prag, Signatur AC XIV 92.
5 Gall, Franz/Paulhart, Hermine (Bearb.): Die Matrikel der Universität Wien. 4. Band: 1579/II–1658/59. Wien/Köln/Graz: Böhlau, 1974, S. 115.
6 Wippich-Roháčková, „Hochdeutscher“, S. 85 f.
7 Corvo Sánchez, María José: Los libros de lenguas de Juan Ángel de Zumaran. La obra de un maestro e intérprete de lenguas español entre los alemanes del siglo XVII. (=Saarbrücker Beiträge zur Sprach- und Translationswissenschaft; 12). Frankfurt am Main: Peter Lang, 2007, S. 41.
8 Gall/Paulhart (Bearb.), Matrikel, 4. Band, S. 151.
9 Corvo Sánchez, María José, libros, S. 52; Faksimile dieser Grammatik in: Messner, Dieter: Los manuales de español impresos en Viena en el siglo XVII. 2 Bände. Salzburg: Institut für Romanistik der Universität Salzburg, 2000, S. 1–494.
10 Pölnitz (Hg.): Matrikel, Teil I, Bd. 2, 1. Halbband, Sp. 484.
11 Das Testament letzterer liefert keine weiteren Informationen zu Johannes Angelus de Sumaran: Österreichisches Staatsarchiv, Wien (ÖStA), Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), Obersthofmarschallamt (OMaA), Akten, Kt. 625, Testamente 1636-1670, Testament von Sumaran Catharina, 26.6.1655.
12 Freundliche Auskunft von Katrin Keller per E-Mail, 17.7.2008; vgl. Keller, Katrin/Catalano, Alessandro (Hg.), Die Diarien und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667). Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2010, Bd. 2, S. 196, 208, 217–219, 297.
13 [Anonym:] Zur Geschichte des Wiener Fragamtes, in: Wiener Communal-Kalender und städtisches Jahrbuch, 31.1893, S. 419–426. Die in diesem Aufsatz zitierten Dokumente, die Karl Schrauf, ein Mitarbeiter des Haus-, Hof-, und Staatsarchivs im Universitätsarchiv Wien (UAW) ausfindig gemacht hatte, konnten dort in den 1980er Jahren von Manfred Bobrowsky nicht aufgefunden werden: Bobrowsky, Manfred: Das Wiener Intelligenzwesen und die Lesegewohnheiten im 18. Jahrhundert. Wien: Dissertation an der Universität Wien (ungedruckt), 1982, S. V. Dank Thomas Maisel (UAW) konnten sie wieder lokalisiert werden: UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 289,r–291a,r; f. 291b,v–292b,v, Einträge vom 27.10.1636 und 23.11.1636. Der dort in Form einer Abschrift überlieferte Text weicht geringfügig von dem im Wiener Communal-Kalender abgedruckten ab, es könnte daher sein, dass Schrauf die Originaldokumente zur Verfügung standen.
14 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 291a,r.
15 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 289,v–290,r
16 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 290,v.
17 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 290,r.
18 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 291a,r.
19 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 289v.
20 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 290v.
21 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 290r.
22 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 291a,r.
23 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 290,v–291a,r.
24 UAW, Kodex Th 16: Acta Facultatis Theologicae IV 1567–1666, f. 292a,r–v.
25 Vgl. auch Blome, Astrid: Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt – Ein Beitrag zur Genese der Wissensgesellschaft, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, 8.2006, S. 3–29, hier 9.

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