Jelinek zu Handke
Brauchbares zum Fall der Düsseldorfer Politiker, die Peter Handke den ihm zugesprochenen Heine-Preis verweigern, hat Elfriede Jelinek zu sagen. Obwohl, eigentlich könnte ich mich, ihrem Eingangsstatement getreu, von ihrer - von ihr selbst problematisierten - Distanzierung von Handkes Meinung distanzieren, weil ich, im Gegensatz zu Jelinek, den Nato-Überfall auf Jugoslawien nicht zu rechtfertigen fand und eher annehme, dass sie hier westlicher und nicht zuletzt deutsch-österreichischer Propaganda verfallen ist, die sich seit den Serbien-muss-sterbien-Parolen von anno 1914 nur unwesentlich geändert hat. Aber was soll's, lesenswert ist der heute auch im Standard erschienene Text allemal. (Vgl. auch die Stellungnahme der Ratsmitglieder Adelgunde Kahl und Frank Laubenburg für die Linke Liste Düsseldorf).
adresscomptoir -
Politik - Do, 1. Jun. 2006, 09:18
MICHAEL TSCHIDA schrieb am 1. Juni in der Kleinen Zeitung ...
Peter Handke kämpft gegen Wahrheitsdiktatur. Demokrat ist auch er keiner.
Die Mutter feuchtete das Taschentuch mit Spucke an und putzte dem Buben die Nase: Das ist meine erste Erinnerung an einen Handke-Text, ich kann ihn heute noch riechen.
Peter Handkes „Wunschloses Unglück“, geschrieben nach dem Suizid seiner Mutter 1971, ist der erzählerische Holzschnitt einer von Säufern und sozialen Repressionen paralysierten Frau. „Dass jemand mit solcher Härte über seine Mutter schreibt, ist mir nie wieder untergekommen“, sollte der Psychotherapeut Harald Leupold-Löwenthal einmal sagen.
Der Vater, der keiner war. Der leibliche Vater, den er erst mit 18 kennen lernte. Das Knabeninternat in Tanzenberg. Die Enge seiner Heimat Griffen. Das Auffinden seiner toten Mutter „in Menstruationshosen, in die sie noch Windeln gelegt hatte“: Das alles ist wohl die Nährlösung, in der sich ein widerständischer, rastloser Geist entwickelte.
Graz wurde das erste offene Tor für Handke, wo er das „Gewicht der Welt“ zu messen begann. Er schloss sich der Autorenversammlung im Forum Stadtpark an und brach 1965 mit dem ersten Romanerfolg „Die Hornissen“ sein Jusstudium ab.
Die eruptive „Publikumsbeschimpfung“ in Princeton, wo er 1966 der legendären Gruppe 47 „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf, machte Handke mit einem Schlag zum Fixstern auf dem Literaturhimmel. Dort strahlten sein scharfer Blick und der Fassettenschliff seiner Worte.
Der junge Autor als Enfant terrible – die Rolle gefiel Peter Handke und die Koketterie des Außenseiters hat er bis heute nicht abgestreift. Der Vielzahl seiner brillanten Bücher, die ihn zum permanenten Kandidaten für den Literaturnobelpreis machten, folgten Werke, die eher in Germanisten-Seminaren analysiert wurden.
Handkes bärbeißiger Einsatz für Serbien, in seinen Augen Kriegsopfer westlicher Wahrheitsdiktatoren, ist für viele ein Zuruf aus dem Elfenbeinturm, ein „privatmythologisches literarisches Projekt“ (Neue Zürcher). Den Vorwurf eitlen Kalküls konnte er nie entkräften. Und Ruhestifter wollte er ohnedies nie sein.
„Nein, du bist kein Mann des Friedens“, schrieb ihm denn auch Marie Colbin, seine ehemalige Lebensgefährtin, 1999 in einem offenen Brief: „Ich spüre noch den Bergschuh in meinem Unterleib und auch die Faust im Gesicht.“
Zu kurz gegriffen
Ich halte von diesen psychologischen Deutungen wenig, zumal man nicht genug über Handkes Persönlichkeit weiss. Das Zitat von Marie Colbin ist Handke oft vorgehalten worden und gegen seine Jugoslawien-Bücher verwandt worden.
Handkes Serbien-Engagement nur als Provokation oder als "Enfant-terrible"-Aktion zu sehen, ist vollkommen abwegig. Wenn es ihm danach ginge, hätte er andere Prioritäten gesetzt.