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Die Emigration der Spätaufklärer aus Österreich, um 1808 - Teil 2: Josef August Schultes

Von den Gelehrten, die um 1808 Österreich verlassen, soll im Folgenden insbesondere Josef August Schultes (1773 - 1831) kurz charakterisiert werden:
Schultes hatte in Wien beim Mediziner Johann Peter Frank promoviert und war vor allem als Botaniker und Reiseschriftsteller bekannt geworden, als er 1802 die Rezensionszeitschrift Annalen der österreichischen Literatur und Kunst mitgründete und bis 1805 auch leitete. 1806 übernahm er eine Professur für Chemie und Botanik an der Universität Krakau, im Jahr darauf verließ er Österreich und wurde im damals zu Bayern gehörigen Innsbruck Professor für Botanik. Wegen seiner pronapoleonischen Haltung im Tiroler Aufstand 1809 verhaftet und gemeinsam mit anderen bayrischen Beamten nach Ungarn deportiert, wurde er nach seiner Freilassung Professor für Naturgeschichte und Botanik an der Universität Landshut. Dort besorgte er eine neue Ausgabe von Linnés Systema vegetabilium und kämpfte wie schon zur Zeit seiner Herausgeberschaft der Annalen gegen die auch in Landshut stark vertretene Romantik, indem er unter anderem erfolgreich die Berufung von Johann Nepomuk von Ringseis zum Professor für Medizin an die Universität Landshut verhinderte. Ringseis revanchierte sich, indem er die 1826 erfolgte Verlegung der Universität von Landshut nach München mitbetrieb; Schultes blieb in Landshut bis zu seinem Tod nur mehr die Leitung der chirurgischen Schule überlassen.1
Schultes Reiseberichte beinhalteten zwar in romantischer Manier gehaltene Landschaftsschilderungen, zugleich benutzte er aber diese Gattung für entschieden aufklärerische und antiklerikale Kritik an Missständen in den von ihm durchreisten Landstrichen. In seiner in Briefform gehaltenen Beschreibung Galiziens beschäftigte sich Schultes mit den ökonomischen Ursachen der von ihm abgelehnten Branntweinproduktion genauso wie mit der aus seiner Sicht absolut untragbaren hygienischen Lage der polnischen Bauern. Deren Charakterisierung als sich im Kothe wälzende, in einem Chaos von Dörfern wohnende Landbevölkerung, die sich ihre Haare nie auskämmen und die Kinder am Schulbesuch hindern würde2, stand in einer langen Tradition, die keineswegs auf Galizien beschränkt war: Bereits die theresianischen Offiziere hatten in den von ihnen verfassten politischen Anmerkungen zur Seelenkonskription von 1770/72 die bäuerliche Bevölkerung der von ihnen erfassten Gebiete in ähnlichen Begriffen beschrieben und als tierhaft dargestellt, mit dem Ziel, aufklärerische Reformen anzustoßen.3 Im Gegensatz zu dem in den Annalen wegen seiner antijüdischen Haltung kritisierten Joseph Rohrer, der die jüdische Bevölkerung als schädlich für Galizien betrachtete4, differenzierte Schultes zwischen der städtischen und der ländlichen jüdischen Bevölkerung und betonte, dass insbesonders letztere die Einzigen seien, die in ländlichen Gegenden für die Verbreitung der Industrie sorgten. Die Klassifizierung der Juden nach dem Kriterium ihrer Nützlichkeit für den Staat wurde von ihm damit nicht in Frage gestellt, und beim Vergleich zwischen jüdischer und nichtjüdischer polnischer Bevölkerung hielt Schultes es für angebracht, als Argument für die Juden die polnischen Bauern zumindest physiognomisch auf eine Stufe mit Affen zu stellen: Vergleichen Sie weiter die Gesichtsbildung der pohlnischen Juden mit den Bauern von Galizien, und Sie werden sehen, dass das einen Menschen mit einem Orang-Outang zusammenstellen heisst.5

1 Zu Schultes vgl. Czikann, Johann Jacob Heinrich / Gräffer, Franz (Hg.): Oesterreichische National-Encyklopädie. Wien 1835-1837. Bd.4. Wien 1836, S. 605 f.; Wurzbach Ritter von Tannenberg, Constantin: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich (=Wurzbach) Wien [u. a.] 1856-1891. Bd.32. Wien [u. a.] 1876, S. 171-177; Meißnitzer, Alois: Die Annalen der österreichischen Literatur. Eine Monographie. Dissertation Universität Wien 1935, S. 38-42; Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hg.): Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 - 1950 (=ÖBL) Wien 1956 ff., Bd.11. Wien 1999, S. 338 f.; Sutner, Gotelinde: Josef August Schultes (1773-1831). Medizinische und naturwissenschaftliche Beobachtungen in seinen Reisebeschreibungen (=Schriftenreihe der Münchener Vereinigung für Geschichte der Medizin e. V. 20) Gräfeling 1987; zu Ringseis: Bautz, Friedrich Wilhelm / Bautz, Traugott (Hg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Herzberg 1975-2002. Bd.8. Herzberg 1994, Sp. 380-384.

2 Schultes, Josef August: Ueber die Art in Galizien zu reisen, mit Bemerkungen über den Charakter der Einwohner dieses Landes. (An den Herrn Jos. Köderl. Brief des Hrn. Drs. Schultes, Prof. der Chymie und Botanik an der Universität zu Krakau), in: Neue Annalen der Literatur des österreichischen Kaiserthumes, Intelligenzblatt, September 1807, Sp. 97-116. Branntweinproduktion: Sp. 100-104; Kot: Sp. 101, Chaos: Sp. 102, Haare: Sp. 101, Schulbesuch: Sp. 103f.; vgl. auch seinen Beitrag im Intelligenzblatt der Annalen vom März 1807, Sp. 97-110.

3 Vgl. z.B. die politischen Anmerkungen für Niederösterreich: Hochedlinger, Michael / Tantner, Anton (Hg.): "der größte Teil der Untertanen lebt elend und mühselig". Die Berichte des Hofkriegsrates zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Habsburgermonarchie 1770 - 1771. (=Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs; Sonderband Nr.8). Innsbruck u.a. 2005, S. 98-121.

4 Siehe die Rezension seines Reiseberichts in: Annalen, Februar 1805, S. 107. Vgl. auch die Rezension seines 1804 erschienenen "Versuches über die jüdischen Bewohner der österreichischen Monarchie" in: Annalen, Dezember 1808, S. 252-256.

5 Schultes, Brief an Köderl, Annalen, Intelligenzblatt, September 1807, Sp. 105-107, Zitat Sp. 106.

Mehr zum Thema: Aspalter, Christian/Tantner, Anton: Ironieverlust und verleugnete Rezeption: Kontroversen um Romantik in Wiener Zeitschriften, in: Aspalter, Christian/Müller-Funk, Wolfgang/Saurer, Edith/Schmidt-Dengler, Wendelin/Tantner, Anton (Hg.): Paradoxien der Romantik. Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in Wien im frühen 19. Jahrhundert. Wien, Wiener Universitätsverlag, 2006 im Erscheinen, S. 47-120.