Mchael Scharang über zweierlei Formen der Kritik
In der aktuellen Ausgabe von konkret ist u.a. Michael Scharangs Artikel über Literatur und Politik sehr lesenswert.
Hier zwei Passagen über zwei unterschiedliche Formen der Kritik:
1) Mit Blick auf Beckett sagt Adorno: "Jedes Engagement für die Welt muss gekündigt sein, damit der Idee eines engagierten Kunstwerks genügt werde." Mit anderen Worten: Jeder Widerstand gegen das Bestehende muss aufhören, damit die Idee des Widerstands lebendig bleibt. Das ist krauser Idealismus. Geht es gegen engagierte Literatur, ist Adorno jedes Mittel recht. [Absatz] Die Kritische Theorie, die Adorno und die Frankfurter Schule vertraten, war virtuos in der Kritik des Bestehenden, legte aber großen Wert darauf, dieses für nicht veränderbar zu erklären. Doch eine Kritik am Bestehenden, welche dieses für nicht veränderbar hält, ist porös. Sie gibt sich radikal, geht aber nie zum Äußersten. Damit kann die bessere Gesellschaft leben. Adornos Ablehnung von Brecht und Sartre und seine Zuneigung zu Beckett sind verständlich, da auch Becketts Werk sich mit einem Gestus der Radikalität bescheidet. (S.57)
2) Die Welz schaute bewundernd auf das Forum Stadtpark und ahnte nichts von dem Kulturkampf, in dem wir uns dort befanden. Eine lehrreiche Auseinandersetzung – Literatur und Politik. Die Lesung fand statt. Mayröcker begann. Sie hatte noch keine zwei Minuten gelesen, als ein Hüne nach vorn stürmte, offenbar in der Absicht, die Tische, an denen wir saßen, umzuwerfen. Die Staatspolizisten, ältere, wohlbeleibte Männer, rannten ihm nach, waren aber zu langsam. Dennoch erreichte der Hüne sein Ziel nicht. In der ersten Reihe saß der Maler Waldorf, Obmann des Forum Stadtpark, ein kleiner Mann Mitte fünfzig, der vor Jahrzehnten als Mitglied des Grazer Boxclubs Heros österreichischer Meister im Fliegengewicht gewesen war. Er streckte den Aggressor zu Boden. Literatur und Politik in ihrer schönsten Gestalt. (S.54)
Scharang, Michael: Literatur und Politik, in: konkret 3/2021, S. 54-57.
Hier zwei Passagen über zwei unterschiedliche Formen der Kritik:
1) Mit Blick auf Beckett sagt Adorno: "Jedes Engagement für die Welt muss gekündigt sein, damit der Idee eines engagierten Kunstwerks genügt werde." Mit anderen Worten: Jeder Widerstand gegen das Bestehende muss aufhören, damit die Idee des Widerstands lebendig bleibt. Das ist krauser Idealismus. Geht es gegen engagierte Literatur, ist Adorno jedes Mittel recht. [Absatz] Die Kritische Theorie, die Adorno und die Frankfurter Schule vertraten, war virtuos in der Kritik des Bestehenden, legte aber großen Wert darauf, dieses für nicht veränderbar zu erklären. Doch eine Kritik am Bestehenden, welche dieses für nicht veränderbar hält, ist porös. Sie gibt sich radikal, geht aber nie zum Äußersten. Damit kann die bessere Gesellschaft leben. Adornos Ablehnung von Brecht und Sartre und seine Zuneigung zu Beckett sind verständlich, da auch Becketts Werk sich mit einem Gestus der Radikalität bescheidet. (S.57)
2) Die Welz schaute bewundernd auf das Forum Stadtpark und ahnte nichts von dem Kulturkampf, in dem wir uns dort befanden. Eine lehrreiche Auseinandersetzung – Literatur und Politik. Die Lesung fand statt. Mayröcker begann. Sie hatte noch keine zwei Minuten gelesen, als ein Hüne nach vorn stürmte, offenbar in der Absicht, die Tische, an denen wir saßen, umzuwerfen. Die Staatspolizisten, ältere, wohlbeleibte Männer, rannten ihm nach, waren aber zu langsam. Dennoch erreichte der Hüne sein Ziel nicht. In der ersten Reihe saß der Maler Waldorf, Obmann des Forum Stadtpark, ein kleiner Mann Mitte fünfzig, der vor Jahrzehnten als Mitglied des Grazer Boxclubs Heros österreichischer Meister im Fliegengewicht gewesen war. Er streckte den Aggressor zu Boden. Literatur und Politik in ihrer schönsten Gestalt. (S.54)
Scharang, Michael: Literatur und Politik, in: konkret 3/2021, S. 54-57.
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Politik - Mi, 3. Mär. 2021, 10:44