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Ebenfalls durchaus hörenswert, die in der Diagonal-Ausgabe...
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Critical Art Ensemble zum Datenkörper, 1995

Günter Hack hat vor ein paar Tagen auf Textdump Überlegungen zum Datenkörper angestellt; zur Unterfütterung der Diskussion zitiere ich mal, was das Critical Art Ensemble 1995 zum Begriff des Datenkörpers zu sagen hatte:

Was hat dieser angeblich befreite Körper nun gekostet? Der Preis in Form der Aufgabe persönlicher Souveränität wurde nicht nur von den Netzbenutzern bezahlt, sondern von allen Menschen in technologisch hochstehenden Gesellschaften. Denn mit dem virtuellen Körper kam sein faschistischer Bruder, der Datenkörper – eine viel höher entwickelte virtuelle Form, die noch dazu völlig in den Dienst der Konzerne beziehungsweise des Polizeistaats gestellt ist. Der Datenkörper besteht aus der vollständigen Ansammlung von Akten, die über jedes Individuum angelegt wurden. Er hat in gewisser Weise bereits seit Anbeginn der Zivilisation in einer unfertigen Form existiert, denn die Autoritäten haben über ihre Untergebenen schon immer Aufzeichnungen geführt. So sind etwa einige der frühesten von Ägyptologen gefundenen Dokumente Steuerregister. Der technologische Apparat hat den Datenkörper nun zur Reife gebracht. Aufgrund seiner enormen Speicherkapazität und der Möglichkeit, Informationen schnell einzuordnen und wieder abzurufen, ist kein Detail des sozialen Lebens mehr zu unbedeutend, um nicht aufgezeichnet und geprüft zu werden. Von dem Moment unserer Geburt, der mit dem Ausstellen unserer Geburtsurkunde einhergeht, bis zu dem Tag unseres Todes, an dem man unsere Sterbeurkunde ausfertigt, wird der Verlauf unseres Lebens minutiös dokumentiert. Schulzeugnisse, Versicherungspolicen, Steuererklärungen, Strafakten, Bankdaten, medizinische Dossiers, Kassenbelege ... Daten ohne Ende.
Der Datenkörper hat vorwiegend zwei Funktionen: Er dient einerseits dem Repressionsapparat und andererseits dem Marketingapparat. Das Begehren der autoritären Macht, das Leben ihrer Untergebenen total transparent zu machen, wird durch den Datenkörper befriedig. Jeder steht durch seine notwendige Interaktion mit dem Markt unter permanenter Überwachung. Es ist zwar reine Spekulation, wie detailliert die vom Datenkörper gelieferten Informationen tatsächlich sind, aber wir können sicher sein, dass sie detaillierter sind, als uns das lieb oder überhaupt vorstellbar wäre.
Die zweite Funktion des Datenkörpers besteht darin, den Marketingmanagern akkurate Informationen zur Verfügung zu stellen, um Zielgruppen entwerfen und erzeugen zu können. Seit der Pankapitalismus das Problem der Produktion lange hinter sich gelassen hat und von einer Bedarfsökonomie zu einer Wunschökonomie hinübergewechselt ist, haben diese Manager praktikable Methoden entwickelt, um auf künstliche Weise den Wunsch nach Produkten entstehen zu lassen, die eigentlich gar nicht gebraucht werden. Der Datenkörper erlaubt ihnen dabei den Einblick in das Konsumverhalten, die Wirtschaftskraft und den Lifestyle derer, die über ein erhöhtes Einkommen verfügen. Der Datenkörper hilft den Managern, Dich zu finden und für Deinen Lifestyle zu sorgen. Der postmoderne Slogan ‚Nicht Du wählst die Ware, die Ware wählt Dich‘ hat größere Bedeutung als jemals zuvor.
Aber das Erschreckendste am Datenkörper ist seine zentrale Stellung im sozialen Leben des Einzelnen. Er verrät den Mitarbeitern der Behörden alles über unsere kulturelle Identitäten und Rollen, und wir sind zu machtlos, um dem Datenkörper wiedersprechen zu können. Sein Wort ist Gesetz. Unser organisches Sein ist aus der Sicht der wirtschaftlichen und staatlichen Bürokratien kein bestimmender Faktor mehr. Daten bilden nunmehr das Zentrum der sozialen Kultur, und unser organisches Fleisch ist nichts weiter als eine falsche Repräsentation originaler Daten.


Critical Art Ensemble: Utopische Versprechen – Netzrealitäten, in: Dies: Elektronischer Widerstand. Wien: Passagen, 2007, S. 27–39, hier 31f.
(englisches Original 1995, wiederveröffentlicht 1998)