ak: Nachrufe auf Eric Hobsbawm
Analyse & Kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis hat Logie Barrow, Marcel van der Linden, Katja Kullmann und mich gebeten, als Nachruf auf den am 1. Oktober verstorbenen Eric Hobsbawm kurz ein von Hobsbawm verfasstes Lieblingsbuch zu nennen und dessen persönliche Bedeutung zu schildern. In Print sind diese Texte in der Ausgabe Nr. 576, 19.10.2012, S. 24 unter der Überschrift Geschichten von links unten erschienen, ich dokumentiere meinen Beitrag auch an dieser Stelle:
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Das Pseudonym Francis Newton
Zu den vielfältigen Themen, mit denen sich Eric Hobsbawm beschäftigte, zählten auch der Jazz und seine Geschichte. Bereits 1959 publizierte er in London »The Jazz Scene«, ein Buch, das unter dem Pseudonym Francis Newton erschien, weil Hobsbawm seine historische von der jazzjournalistischen Arbeit trennen wollte. »The Jazz Scene« weist alle Stärken auf, die Hobsbawms sonstige wissenschaftliche Veröffentlichungen charakterisieren; er verwahrte sich darin gegen jegliche Biologismen, die Jazz als Ausdruck einer »Rasse« oder als typisch afrikanische Musik betrachten wollten, mokierte sich über jazzaffine Eliten, die ob des vermeintlichen Exotismus verzückt waren und betonte stattdessen die vielfältigen hybriden Einflüsse, die den spätestens ab den 1920er Jahren in Europa populär gewordenen Jazz kennzeichneten.
Besonders bedeutsam war für mich, als ich das Buch im Zuge der Arbeit an meiner Diplomarbeit zu den »Schlurfs« - einer um den Swing entstandenen Arbeiterjugendsubkultur im Wien während der NS-Herrschaft - las und zu meiner Freude entdeckte, dass Hobsbawm darin jenen Jugendlichen Aufmerksamkeit entgegenbrachte, die im NS-beherrschten Europa Jazz hörten und dadurch in eine Distanz zum Faschismus gerieten, die auch zu Protest- und Widerstandsaktionen führen konnte. Namentlich erwähnt er die Zazous, die sich im deutsch besetzten Paris an Johnny Hess, Charles Trenet und Django Reinhardt begeisterten und wegen ihrer Frisur zuweilen Opfer von Haarschneideaktionen wurden; manche von ihnen trugen öffentlich einen Judenstern mit dem Schriftzug »Swing«, nahmen an Demonstrationen teil und kamen deswegen in Arbeitslager.
Es spricht für Hobsbawm, dass er sich im Kalten Krieg weder von den Kampagnen gegen den Jazz in den realsozialistischen Ländern noch von dessen Instrumentalisierung durch die US-Propaganda von seiner Liebe zu dieser Musik abbringen ließ und gleichzeitig einen nüchternen, analytischen Blick auf diese erste Massenkultur des 20. Jahrhunderts beibehielt.
Update 16.11.2012/Linkkorrektur 9.6.2022: Die Nachrufe sind nun auch auf der Homepage von Analyse & Kritik verfügbar.
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Das Pseudonym Francis Newton
Zu den vielfältigen Themen, mit denen sich Eric Hobsbawm beschäftigte, zählten auch der Jazz und seine Geschichte. Bereits 1959 publizierte er in London »The Jazz Scene«, ein Buch, das unter dem Pseudonym Francis Newton erschien, weil Hobsbawm seine historische von der jazzjournalistischen Arbeit trennen wollte. »The Jazz Scene« weist alle Stärken auf, die Hobsbawms sonstige wissenschaftliche Veröffentlichungen charakterisieren; er verwahrte sich darin gegen jegliche Biologismen, die Jazz als Ausdruck einer »Rasse« oder als typisch afrikanische Musik betrachten wollten, mokierte sich über jazzaffine Eliten, die ob des vermeintlichen Exotismus verzückt waren und betonte stattdessen die vielfältigen hybriden Einflüsse, die den spätestens ab den 1920er Jahren in Europa populär gewordenen Jazz kennzeichneten.
Besonders bedeutsam war für mich, als ich das Buch im Zuge der Arbeit an meiner Diplomarbeit zu den »Schlurfs« - einer um den Swing entstandenen Arbeiterjugendsubkultur im Wien während der NS-Herrschaft - las und zu meiner Freude entdeckte, dass Hobsbawm darin jenen Jugendlichen Aufmerksamkeit entgegenbrachte, die im NS-beherrschten Europa Jazz hörten und dadurch in eine Distanz zum Faschismus gerieten, die auch zu Protest- und Widerstandsaktionen führen konnte. Namentlich erwähnt er die Zazous, die sich im deutsch besetzten Paris an Johnny Hess, Charles Trenet und Django Reinhardt begeisterten und wegen ihrer Frisur zuweilen Opfer von Haarschneideaktionen wurden; manche von ihnen trugen öffentlich einen Judenstern mit dem Schriftzug »Swing«, nahmen an Demonstrationen teil und kamen deswegen in Arbeitslager.
Es spricht für Hobsbawm, dass er sich im Kalten Krieg weder von den Kampagnen gegen den Jazz in den realsozialistischen Ländern noch von dessen Instrumentalisierung durch die US-Propaganda von seiner Liebe zu dieser Musik abbringen ließ und gleichzeitig einen nüchternen, analytischen Blick auf diese erste Massenkultur des 20. Jahrhunderts beibehielt.
Update 16.11.2012/Linkkorrektur 9.6.2022: Die Nachrufe sind nun auch auf der Homepage von Analyse & Kritik verfügbar.
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HistorikerInnen - Mo, 29. Okt. 2012, 09:11