Die Tabellenklage, 1774
Vollständig wiedergegeben sei hier die Tabellenklage des Hofrats Johann Sebastian Christoph von Müller, der seinen Schmerzensruf in eine Abhandlung zur Geschichte der Tiroler Landmiliz einflicht:
Es wäre ein leichtes für einen Beamten auf dem Lande die (...) Tabellen und Bücher nach aller Pünctlichkeit des militarischen Entwurfes für die Conscriptions-Officiers zu verfaßen, wenn er nur die nemliche Arbeit zum andern mahle nicht auch für seine politischen Obern zu machen, und noch so viele andere Tabellen und Bücher nebenbey zu verfertigen hätte.
Ein LandBeamter machet den GrundStein der ganzen politischen Einrichtung; die meisten StaatsArbeiten fangen von ihme an, und alle fallen auf ihne wieder zurück.
Er hat gemeiniglich das Politicum, Justitiale, Camerale, und Commerciale zu besorgen, und die für diese, und mehr andere abgesönderte Agenda besonders aufgestellte Departements haben schon vielerley Tabellen, Extracten, Protocollen, und Bücher eingeführet, daß deme, der sie zu verfertigen hat, nur hiemit keine geringe Beschäftigung verursachet wird.
Für die politischen Stellen müßte von einem Land-Beamten jährl[ich]: nicht nur allein die Menschen, sondern auch die ViehstandsTabellen, die Emigrations- und Immigrations-Tabellen, die milde Stiftungs-Tabellen, wochentlich die GetraidPreiß-Tabellen aller Victualien, die Verzeichniß der durch pashirende Bettler, und Vaganten, der ausständigen Berichte, zuweil auch in einem Jahre Tabellen der Getraid und anderen Fechsungen, der gesunden und krancken Menschen, so auch von dem Viehe eingeschicket werden.
Die Justiz-Stellen wollen ihre besonderen Tabellen haben, über die erledigte, und unerledigte Proceße, über die ausständige Berichte und pupillar-Tabellen.
Die Cameralisten verlangen monatliche, oder QuartalsExtracten von Einnahmen, und Ausgaben, Systemal-Entwürfe von Einnahme, und Ausgaben des zukünftigen Jahrs für die Dominien, oder für die Kammer unmittelbahr.
Die CommercienCommissionen fordern Spinn- und Manufactur-Tabellen.
[Eingefügt: Die Agricultur-Societäten, Beurbarungs-Tabellen.]
Diese sind es aber noch nicht alle; Es giebt noch allerhand Steuer-Fashsions-Tabellen.
Einige darunter fallen unrichtige, wenn es nur nicht die meisten wären, andere undeutl[ich]: aus; sie werden zuruckgeschickt, und müßen verbesseret werden, sie veranlassen Anfragen, diese müßen erläutert werden; die Vorschriften der Tabellen selbst erweken Zweifel, und Anstände, darüber müßen Erklärungen erbetten werden; gleichwohl tragen alle diese Tabellen, obschon ich keiner iren besonderen Nuzen absprechen will, zur Weesenheit der Staats Wohlfahrt nichts bey; denn von darum, wie es von sich selbst in die Augen fällt, nimmt weder die Populations, weder das zeitl[ich]:e Glück der Unterthann im mindesten zu.
Es hat aber ein Landbeamter ausser dem Tabellenmacher noch gar viel zu thun, welches in die StaatsWohlfahrt schon einen geraderen Einfluß hat. (...)
[U]nd weil gar vielen Beamten ihr Dienst nicht so viel einträgt daß sie ehrbar davon leben könen, so müßen sie heimlich oder öffentlich auf Nebenverdienste sich legen, und die Zeit dazu denen eigenen Amtsgeschäften abstehlen.
Betrachtet man nur eines gegen das andere, so sind die fleißigsten und geschicktesten Beamten, deren Anzahl wieder die geringste ist, mit Arbeiten so sehr beladen, und in der Zeit so beklemmet, daß sie anvermögend sind, die Geschäfte, welche sie zu verrichten haben, recht zu überdenken, woran gleichwohl, meinem Erachten nach, für den Wohlstand der Unterthanen, und für die wahre Glückseligkeit des Staates das meiste, wo nicht alles gelegen ist, und wozu ich dem Landbeamten durch Abschaffung jeder entbehrlichen, und just nicht nothwendigen mechanischen Arbeit die erforderliche Zeit verschaffen möchte.
- Eine mächtige, laute Klage über die Mühsal der Beamten. Sie müssen die Welt in die Tabelle bringen. Egal ob Vieh oder Mensch, Kranke oder Gesunde, MigrantInnen oder BettlerInnen, Ausgaben oder Einnahmen, Stiftungen oder Kornpreise, alles ist wohlgeordnet auf der Fläche des Papiers an der richtigen Stelle, in seiner vorgeschriebenen Zeile und Spalte zu verzeichnen. Die Bürokratie schreckt dabei nicht davor zurück, ihre Aufzeichnungstechniken auf sich selbst anzuwenden, auch ausständige Berichte sind mittels Tabelle zu registrieren. Die Wohlfahrt des Staats wird dadurch nicht befördert, weder vermehrt sich durch die Tabellen die Bevölkerung noch bereichern sie das Glück der Untertanen. Im Gegenteil: Die Last der unzähligen Tabellen wiegt schwer auf den Rücken der Beamten, ihre Verfertigung nimmt soviel Zeit in Anspruch, dass Wohlstand der Untertanen und Glückseligkeit des Staates gefährdet sind.
Österreichisches Staatsarchiv/Kriegsarchiv, Wien, Bestand Hofkriegsrat 1774/98/83: Votum des Hofrats von Müller, 21.1.1774, f. 22v-26v.
Es wäre ein leichtes für einen Beamten auf dem Lande die (...) Tabellen und Bücher nach aller Pünctlichkeit des militarischen Entwurfes für die Conscriptions-Officiers zu verfaßen, wenn er nur die nemliche Arbeit zum andern mahle nicht auch für seine politischen Obern zu machen, und noch so viele andere Tabellen und Bücher nebenbey zu verfertigen hätte.
Ein LandBeamter machet den GrundStein der ganzen politischen Einrichtung; die meisten StaatsArbeiten fangen von ihme an, und alle fallen auf ihne wieder zurück.
Er hat gemeiniglich das Politicum, Justitiale, Camerale, und Commerciale zu besorgen, und die für diese, und mehr andere abgesönderte Agenda besonders aufgestellte Departements haben schon vielerley Tabellen, Extracten, Protocollen, und Bücher eingeführet, daß deme, der sie zu verfertigen hat, nur hiemit keine geringe Beschäftigung verursachet wird.
Für die politischen Stellen müßte von einem Land-Beamten jährl[ich]: nicht nur allein die Menschen, sondern auch die ViehstandsTabellen, die Emigrations- und Immigrations-Tabellen, die milde Stiftungs-Tabellen, wochentlich die GetraidPreiß-Tabellen aller Victualien, die Verzeichniß der durch pashirende Bettler, und Vaganten, der ausständigen Berichte, zuweil auch in einem Jahre Tabellen der Getraid und anderen Fechsungen, der gesunden und krancken Menschen, so auch von dem Viehe eingeschicket werden.
Die Justiz-Stellen wollen ihre besonderen Tabellen haben, über die erledigte, und unerledigte Proceße, über die ausständige Berichte und pupillar-Tabellen.
Die Cameralisten verlangen monatliche, oder QuartalsExtracten von Einnahmen, und Ausgaben, Systemal-Entwürfe von Einnahme, und Ausgaben des zukünftigen Jahrs für die Dominien, oder für die Kammer unmittelbahr.
Die CommercienCommissionen fordern Spinn- und Manufactur-Tabellen.
[Eingefügt: Die Agricultur-Societäten, Beurbarungs-Tabellen.]
Diese sind es aber noch nicht alle; Es giebt noch allerhand Steuer-Fashsions-Tabellen.
Einige darunter fallen unrichtige, wenn es nur nicht die meisten wären, andere undeutl[ich]: aus; sie werden zuruckgeschickt, und müßen verbesseret werden, sie veranlassen Anfragen, diese müßen erläutert werden; die Vorschriften der Tabellen selbst erweken Zweifel, und Anstände, darüber müßen Erklärungen erbetten werden; gleichwohl tragen alle diese Tabellen, obschon ich keiner iren besonderen Nuzen absprechen will, zur Weesenheit der Staats Wohlfahrt nichts bey; denn von darum, wie es von sich selbst in die Augen fällt, nimmt weder die Populations, weder das zeitl[ich]:e Glück der Unterthann im mindesten zu.
Es hat aber ein Landbeamter ausser dem Tabellenmacher noch gar viel zu thun, welches in die StaatsWohlfahrt schon einen geraderen Einfluß hat. (...)
[U]nd weil gar vielen Beamten ihr Dienst nicht so viel einträgt daß sie ehrbar davon leben könen, so müßen sie heimlich oder öffentlich auf Nebenverdienste sich legen, und die Zeit dazu denen eigenen Amtsgeschäften abstehlen.
Betrachtet man nur eines gegen das andere, so sind die fleißigsten und geschicktesten Beamten, deren Anzahl wieder die geringste ist, mit Arbeiten so sehr beladen, und in der Zeit so beklemmet, daß sie anvermögend sind, die Geschäfte, welche sie zu verrichten haben, recht zu überdenken, woran gleichwohl, meinem Erachten nach, für den Wohlstand der Unterthanen, und für die wahre Glückseligkeit des Staates das meiste, wo nicht alles gelegen ist, und wozu ich dem Landbeamten durch Abschaffung jeder entbehrlichen, und just nicht nothwendigen mechanischen Arbeit die erforderliche Zeit verschaffen möchte.
- Eine mächtige, laute Klage über die Mühsal der Beamten. Sie müssen die Welt in die Tabelle bringen. Egal ob Vieh oder Mensch, Kranke oder Gesunde, MigrantInnen oder BettlerInnen, Ausgaben oder Einnahmen, Stiftungen oder Kornpreise, alles ist wohlgeordnet auf der Fläche des Papiers an der richtigen Stelle, in seiner vorgeschriebenen Zeile und Spalte zu verzeichnen. Die Bürokratie schreckt dabei nicht davor zurück, ihre Aufzeichnungstechniken auf sich selbst anzuwenden, auch ausständige Berichte sind mittels Tabelle zu registrieren. Die Wohlfahrt des Staats wird dadurch nicht befördert, weder vermehrt sich durch die Tabellen die Bevölkerung noch bereichern sie das Glück der Untertanen. Im Gegenteil: Die Last der unzähligen Tabellen wiegt schwer auf den Rücken der Beamten, ihre Verfertigung nimmt soviel Zeit in Anspruch, dass Wohlstand der Untertanen und Glückseligkeit des Staates gefährdet sind.
Österreichisches Staatsarchiv/Kriegsarchiv, Wien, Bestand Hofkriegsrat 1774/98/83: Votum des Hofrats von Müller, 21.1.1774, f. 22v-26v.
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Socialpolitik - Di, 11. Okt. 2005, 07:52