Roman Herzog: Der ökonomische Putsch
Im Standard geifert heute eine Barbara Wallner wider ein am Samstag auf Ö1 ausgestrahltes Feature von Roman Herzog, das man auch auf Youtube nachhören kann; immerhin, ohne Wallners Invektiven hätte ich die Sendung glatt übersehen.
"Der ökonomische Putsch oder: Was hinter den Finanzkrisen steckt". Gezielte Spekulationsattacken auf ganze Volkswirtschaften, unantastbare Finanzagenturen, die Regierungen in die Knie zwingen, und ohnmächtige Politiker, die gebetsmühlenartig wiederholen, es gäbe keine Alternative: Europa befindet sich im Wirtschaftskrieg. Feature von Roman Herzog (SWR/SR/DLF 2012)
"Wir haben seit einigen Jahren das Schlagwort Postdemokratie, die Steuerung des politischen Systems durch den Finanzmarkt und damit die die faktische Abschaffung von Demokratie", meint der Münchner Juraprofessor und Experte für Wirtschaftskriminalität Bernd Schünemann. "Und man sieht auch schon, wie sozusagen die Regierungen von den Finanzakteuren vor sich hergetrieben werden. Und immer wieder treffen wir die Parole, die ich inzwischen fast nicht mehr hören mag, 'das ist alternativlos', und damit peitscht man es durch. Und offenbar begreift in unseren Herrschaftskonglomeraten in Deutschland und Europa niemand, dass das an die Fundamente unserer parlamentarischen Demokratie rührt, so wie wir sie aus dem totalen Zusammenbruch und Untergang in den 50er Jahren aufgebaut haben."
Keine Krise der Demokratie also, sondern die Abschaffung der Demokratie, das ist das erste Zwischenergebnis der Finanzkrise 2011/2012, dem zweiten Kapitel der Schuldenkrise der Banken, die 2007 begann. Die Macht übernommen haben Akteure aus der Finanzwelt, die an dieser wie an vorhergehenden Krisen Milliarden verdienen. Sie nutzen die Krisen, um den neoliberalen Umbau unserer Gesellschaften zu forcieren und lassen den Bevölkerungen über die Politiker verkünden, sie müssten sparen, da gäbe es keine Alternative. Denn sie müssen immer wieder gerettet werden mit Milliardensummen, die Banken - heute dieselben wie vor vier Jahren.
Michel Foucault sah den Wandel voraus
Paris 1979: Der Philosoph Michel Foucault hält seine Vorlesung "Die Geburt der Biopolitik", eine Geschichte der Kunst des Regierens. Foucault merkt, dass ein grundlegender Wandel in der Welt vor sich geht, eine Machtergreifung, der viele erst dreißig Jahre später gewahr werden.
Michel Foucault, Philosoph
"Die Freiheit des Marktes macht eine aktive und äußerst wachsame Politik notwendig. Und ich glaube, wir können in diesem permanenten Eingreifen des Staates das Spezifische des Neoliberalismus erkennen."
Die frei entfesselte, keinen Regeln obliegende Wirtschaft, die Politik und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen formt, das ist die neoliberale Machtergreifung, von der Foucault sprach. Er zeigte, dass der Neoliberalismus ein Herrschaftsmodell ist, das alle Institutionen der Politik und Gesellschaft umformt. Denn der Neoliberalismus ist ein Spiel zwischen Ungleichheiten, bei dem wenige gewinnen und die meisten verlieren.
Sozialabbau in ganz Europa
Durch die neoliberale Machtergreifung seit den 80er Jahren gehorchen heute fast alle Lebensbereiche den Regeln des freien Wettbewerbs und jeder ist in diesem Spiel seines eigenen Glückes Schmied, trägt privat die Risiken. Wappnet er sich nicht genügend gegen die Unwägbarkeiten des Lebens, ist er selbst schuld an seinem Untergang.
Der Neoliberalismus, den Foucault so früh als grundlegend weltverändernd erkannte, hat ab den 80er Jahren in fast allen Ländern der Welt seinen Siegeszug angetreten. Ronald Reagan in den USA, Margaret Thatcher in Großbritannien und Helmut Kohl in der Bundesrepublik haben mit ihrer antisozialen Politik nachhaltig die Gesellschaften verändert und Hunger und Armut verursacht, nicht nur in der Dritten Welt.
Ihre sozialdemokratischen Nachfolger Tony Blair und Gerhard Schröder haben das Modell weiter vertieft und insbesondere den Finanzmarkt dereguliert. Den nutzen die neoliberalen Akteure heute, um ihre Politik durchzusetzen, ein Markt, auf dem Tausende erfundener Produkte gehandelt werden, swpas, futures und allerlei Derivate, die kaum noch mit der Realwirtschaft zu tun haben.
"Kriminelles" System
Edzard Reuter, Finanzchef bei Daimler-Benz von 1987 bis 1995
Als Reuter Finanzchef war, musste Geld noch "mündelsicher" angelegt werden. Heute sind die "mündelsicheren Papiere" nicht mehr gefragt.
"Im Spielcasino spielt man mit seinem eigenen Geld, und, wenn Sie Dostojewski lesen, am Ende erschießt man sich, wenn man's verspekuliert hat", sagt Bernd Schünemann, Münchner Professor für Wirtschaftsstrafrecht. "Heutzutage spielt man mit fremdem Geld. Die kurzfristigen Gewinne streicht man zu einem großen Teil ein - gucken Sie die Boni, die bei Goldmann Sachs usw. gezahlt werden - und wenn man verliert, haben die anderen Pech gehabt, dann springt die öffentliche Hand ein. (...) Das System ist kriminell. Und man muss dann natürlich fragen, inwieweit die Akteure das durchschaut haben."
Bernd Schünemann, Professor für Wirtschaftsstrafrecht
Bernd Schünemann verfolgt die Finanzkrisen seit vielen Jahrzehnten. Für ihn ist das Gebaren der Banker und Spekulanten ein typisches Zeichen organisierter Kriminalität.
Verschärfung des neoliberalen Modells
Die weltweit vernetzten Finanzakteure bestimmen mittlerweile so direkt die Politik, dass sie der Allgemeinheit die enormen Kosten ihrer Risiken und Skrupellosigkeit aufbürden können, unvorstellbare Milliardensummen. Nach der Bankenrettung ist vor der Bankenrettung, und vor allem, so zeigt die permanent gewordene Krise in Europa, kein Anlass zum Umdenken, sondern zur Verschärfung des neoliberalen Modells: Privatisierungen, Entlassungen, Sozialabbau, so die Rezepte für Spanien, Griechenland oder Italien. Per Verfassungsänderungen versuchen die Regierungen dabei das neoliberale Umverteilungsmodell festzuschreiben.
"Die Politik sagt, wir haben keine Alternative dazu, wir müssen die Banken retten", sagt Bernd Schünemann. "Nun gibt es natürlich immer Alternativen. Also, wenn ein Politiker sagt, es gibt keine Alternativen, werde ich immer gleich misstrauisch, denn jede Erfahrung lehrt, dass es in allen Bereichen Alternativen gibt. Also wird dann womöglich eine Parole ausgegeben, mit der man versucht, die Diskussion und die Analyse von vornherein zu ersticken und zu blockieren. (...) Das Strafrecht hat natürlich das Problem, dass der Brunnen erst untersucht wird, wenn das Kind bereits darin ertrunken ist. Also, (lacht) wir brauchen bildlich gesprochen immer Leichen, um anschließend nachzuforschen, wer ist dafür verantwortlich. (...) Man muss zunächst objektive Verdachtsmomente haben. Aber wenn Hunderte von Milliarden weg sind, das ist so ähnlich, als wenn man zehntausend Leichen findet, dann wird doch wohl ein Staatsanwalt mal untersuchen dürfen, wer sie buchstäblich auf dem Gewissen hat."
"Der ökonomische Putsch oder: Was hinter den Finanzkrisen steckt". Gezielte Spekulationsattacken auf ganze Volkswirtschaften, unantastbare Finanzagenturen, die Regierungen in die Knie zwingen, und ohnmächtige Politiker, die gebetsmühlenartig wiederholen, es gäbe keine Alternative: Europa befindet sich im Wirtschaftskrieg. Feature von Roman Herzog (SWR/SR/DLF 2012)
"Wir haben seit einigen Jahren das Schlagwort Postdemokratie, die Steuerung des politischen Systems durch den Finanzmarkt und damit die die faktische Abschaffung von Demokratie", meint der Münchner Juraprofessor und Experte für Wirtschaftskriminalität Bernd Schünemann. "Und man sieht auch schon, wie sozusagen die Regierungen von den Finanzakteuren vor sich hergetrieben werden. Und immer wieder treffen wir die Parole, die ich inzwischen fast nicht mehr hören mag, 'das ist alternativlos', und damit peitscht man es durch. Und offenbar begreift in unseren Herrschaftskonglomeraten in Deutschland und Europa niemand, dass das an die Fundamente unserer parlamentarischen Demokratie rührt, so wie wir sie aus dem totalen Zusammenbruch und Untergang in den 50er Jahren aufgebaut haben."
Keine Krise der Demokratie also, sondern die Abschaffung der Demokratie, das ist das erste Zwischenergebnis der Finanzkrise 2011/2012, dem zweiten Kapitel der Schuldenkrise der Banken, die 2007 begann. Die Macht übernommen haben Akteure aus der Finanzwelt, die an dieser wie an vorhergehenden Krisen Milliarden verdienen. Sie nutzen die Krisen, um den neoliberalen Umbau unserer Gesellschaften zu forcieren und lassen den Bevölkerungen über die Politiker verkünden, sie müssten sparen, da gäbe es keine Alternative. Denn sie müssen immer wieder gerettet werden mit Milliardensummen, die Banken - heute dieselben wie vor vier Jahren.
Michel Foucault sah den Wandel voraus
Paris 1979: Der Philosoph Michel Foucault hält seine Vorlesung "Die Geburt der Biopolitik", eine Geschichte der Kunst des Regierens. Foucault merkt, dass ein grundlegender Wandel in der Welt vor sich geht, eine Machtergreifung, der viele erst dreißig Jahre später gewahr werden.
Michel Foucault, Philosoph
"Die Freiheit des Marktes macht eine aktive und äußerst wachsame Politik notwendig. Und ich glaube, wir können in diesem permanenten Eingreifen des Staates das Spezifische des Neoliberalismus erkennen."
Die frei entfesselte, keinen Regeln obliegende Wirtschaft, die Politik und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen formt, das ist die neoliberale Machtergreifung, von der Foucault sprach. Er zeigte, dass der Neoliberalismus ein Herrschaftsmodell ist, das alle Institutionen der Politik und Gesellschaft umformt. Denn der Neoliberalismus ist ein Spiel zwischen Ungleichheiten, bei dem wenige gewinnen und die meisten verlieren.
Sozialabbau in ganz Europa
Durch die neoliberale Machtergreifung seit den 80er Jahren gehorchen heute fast alle Lebensbereiche den Regeln des freien Wettbewerbs und jeder ist in diesem Spiel seines eigenen Glückes Schmied, trägt privat die Risiken. Wappnet er sich nicht genügend gegen die Unwägbarkeiten des Lebens, ist er selbst schuld an seinem Untergang.
Der Neoliberalismus, den Foucault so früh als grundlegend weltverändernd erkannte, hat ab den 80er Jahren in fast allen Ländern der Welt seinen Siegeszug angetreten. Ronald Reagan in den USA, Margaret Thatcher in Großbritannien und Helmut Kohl in der Bundesrepublik haben mit ihrer antisozialen Politik nachhaltig die Gesellschaften verändert und Hunger und Armut verursacht, nicht nur in der Dritten Welt.
Ihre sozialdemokratischen Nachfolger Tony Blair und Gerhard Schröder haben das Modell weiter vertieft und insbesondere den Finanzmarkt dereguliert. Den nutzen die neoliberalen Akteure heute, um ihre Politik durchzusetzen, ein Markt, auf dem Tausende erfundener Produkte gehandelt werden, swpas, futures und allerlei Derivate, die kaum noch mit der Realwirtschaft zu tun haben.
"Kriminelles" System
Edzard Reuter, Finanzchef bei Daimler-Benz von 1987 bis 1995
Als Reuter Finanzchef war, musste Geld noch "mündelsicher" angelegt werden. Heute sind die "mündelsicheren Papiere" nicht mehr gefragt.
"Im Spielcasino spielt man mit seinem eigenen Geld, und, wenn Sie Dostojewski lesen, am Ende erschießt man sich, wenn man's verspekuliert hat", sagt Bernd Schünemann, Münchner Professor für Wirtschaftsstrafrecht. "Heutzutage spielt man mit fremdem Geld. Die kurzfristigen Gewinne streicht man zu einem großen Teil ein - gucken Sie die Boni, die bei Goldmann Sachs usw. gezahlt werden - und wenn man verliert, haben die anderen Pech gehabt, dann springt die öffentliche Hand ein. (...) Das System ist kriminell. Und man muss dann natürlich fragen, inwieweit die Akteure das durchschaut haben."
Bernd Schünemann, Professor für Wirtschaftsstrafrecht
Bernd Schünemann verfolgt die Finanzkrisen seit vielen Jahrzehnten. Für ihn ist das Gebaren der Banker und Spekulanten ein typisches Zeichen organisierter Kriminalität.
Verschärfung des neoliberalen Modells
Die weltweit vernetzten Finanzakteure bestimmen mittlerweile so direkt die Politik, dass sie der Allgemeinheit die enormen Kosten ihrer Risiken und Skrupellosigkeit aufbürden können, unvorstellbare Milliardensummen. Nach der Bankenrettung ist vor der Bankenrettung, und vor allem, so zeigt die permanent gewordene Krise in Europa, kein Anlass zum Umdenken, sondern zur Verschärfung des neoliberalen Modells: Privatisierungen, Entlassungen, Sozialabbau, so die Rezepte für Spanien, Griechenland oder Italien. Per Verfassungsänderungen versuchen die Regierungen dabei das neoliberale Umverteilungsmodell festzuschreiben.
"Die Politik sagt, wir haben keine Alternative dazu, wir müssen die Banken retten", sagt Bernd Schünemann. "Nun gibt es natürlich immer Alternativen. Also, wenn ein Politiker sagt, es gibt keine Alternativen, werde ich immer gleich misstrauisch, denn jede Erfahrung lehrt, dass es in allen Bereichen Alternativen gibt. Also wird dann womöglich eine Parole ausgegeben, mit der man versucht, die Diskussion und die Analyse von vornherein zu ersticken und zu blockieren. (...) Das Strafrecht hat natürlich das Problem, dass der Brunnen erst untersucht wird, wenn das Kind bereits darin ertrunken ist. Also, (lacht) wir brauchen bildlich gesprochen immer Leichen, um anschließend nachzuforschen, wer ist dafür verantwortlich. (...) Man muss zunächst objektive Verdachtsmomente haben. Aber wenn Hunderte von Milliarden weg sind, das ist so ähnlich, als wenn man zehntausend Leichen findet, dann wird doch wohl ein Staatsanwalt mal untersuchen dürfen, wer sie buchstäblich auf dem Gewissen hat."
adresscomptoir -
Wirtschaft - Mo, 23. Jul. 2012, 08:50